Alle reden von Disruption. Die Rettung der Demokratie aber hat nur mit einer deutlichen Verlangsamung unseres digitalen Alltags eine Chance.
Unmengen an Mist dienen seit einigen Wochen als Erklärungsansatz für die Überrumpelungstaktik, die Donald Trump und die Seinen seit ihrer Rückkehr ins Weiße Haus an den Tag legen. Damit sollen nicht etwa die Deutungsangebote diskreditiert werden, die Journalisten, Wissenschaftlerinnen oder Intellektuelle aktuell offerieren. Vielmehr beziehen sich die Kommentatoren auf eine übelriechende Taktik, die das „MAGA-Mastermind“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Steve Bannon bereits 2018 in einem Gespräch mit dem amerikanischen Publizisten Michael Lewis ausgebreitet hatte: „The Democrats don’t matter. The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit”. Bannon fürchtete also nicht so sehr Widerstand aus den Reihen der US-Demokraten, sondern sah die wahre Bedrohung für Trump und dessen Politik der Lüge in der freien Presse. So unappetitlich Bannons Strategie auch klingt: Sie entbehrt nicht einer gewissen diabolischen Genialität. Trump und sein Team machen sich unsere digitale Alltagsrealität zunutze und setzen Falschmeldungen, Übertreibungen, Beleidigungen oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate strategisch ein, um Journalisten sowie Bürger und Institutionen, die sich um den Zustand der Demokratie sorgen, ständig unter leichtem Fieber zu halten. Die Kommunikationsforschung spricht in diesem Zusammenhang treffend von „Info-Rauschen“. Je länger dieser Fieber- oder Rauschzustand andauert, desto schwächer und auch ein bisschen wahnsinniger werden all jene, die sich hauptberuflich mit nachrichtlicher Berichterstattung und ihrer Einordnung auseinandersetzen, aber auch jene, die ehrlich besorgt um ihre Demokratie und die weltweiten Auswirkungen der Politik Donald Trumps sind.
Seine zweite Amtszeit als US-Präsident fühlt sich auch deshalb so atemlos an, weil die jetzige Administration eine Strategie verfolgt, die man als eine neue Form der Schockwellentherapie bezeichnen könnte. In einem unbändigen Tempo folgt koordiniert eine Schreckensnachricht auf die andere. Somit bleibt kaum Zeit, die eine Information einzuordnen und zu verdauen, bevor die nächste ihre Aufmerksamkeit einfordert. Wir alle drohen an dem Brei aus unterschiedlichen Nachrichtenstückchen, die uns täglich erreichen, zu ersticken. – Fragen Sie sich selbst: Welche Dekrete hat Donald Trump an seinem ersten Amtstag unterschrieben? Wie viele davon sind inzwischen gerichtlich angefochten worden? Oder: Was genau macht Elon Musk mit seiner „Regierungseffizienzbehörde“? Es fällt schwer, diese Fragen konsistent und voneinander abgegrenzt- und nicht in einem indifferenten Durcheinander zu beantworten.
Das hat Methode. In einem bemerkenswerten Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat der langjährige Chefredakteur des „New Yorker“, David Remnick, kürzlich gesagt, die „technische Beschleunigung von Bullshit“ sei eines der Kernprobleme unserer Gegenwart. Damit schließt er rhetorisch – ähnlich wie Ezra Klein, der das bereits erwähnte Bannon-Zitat in seinem Podcast hervorgekramt hatte – an Harry G. Frankfurt an, dessen Essay „On Bullshit“, der erstmals 1986 erschien, den „Bullshitter“ (oder Hohlsprecher) als einen der Wahrheit vollkommen gleichgültig gegenüberstehenden Sozialtypus charakterisiert hatte. Remnicks Ergänzung um eine technische Dimension des Bullshits muss unweigerlich ins heutige Reich der Gleichgültigkeit vor der Wahrheit führen: in die so genannten „sozialen Medien“.
Twitter (heute: X) war schon in der ersten Amtszeit Donald Trumps ein wichtiges Regierungsmittel, doch seit sein neuer best buddy Elon Musk das Netzwerk aufgekauft hat, ist es endgültig zu einer rechten Trollfabrik verkommen. Vorbei die Zeiten, als Twitter im Kontrast zu Facebook („die Gosse“) wirkte, wie ein „feiner Literatursalon“, wie 2016 auf einem Branchentreffen von Journalisten – natürlich im Nachhinein getwittert – bemerkt wurde.
Die Bedeutung sozialer Medien für Wahlkämpfe changiert stets zwischen Unter- und Überschätzung: Der „brat summer“, der Kamala Harris ins Weiße Haus tragen sollte und das lang erwartete „endorsement“ von Taylor Swift via Instagram hatten jedenfalls keinen messbaren Einfluss auf das US-Wahlergebnis. Zugleich wirken die Desinformationskampagnen, die Trump und sein Team, aber auch die AfD in Deutschland oder andere rechtspopulistische Parteien in Europa streuen, in ihrer Intensität und Dauerhaftigkeit möglicherweise destabilisierend: Auf das Vertrauen der Menschen in die Demokratie, auf die Glaubwürdigkeit von Politikern und Medien. Die eigentliche Perfidie von J. D. Vance‘ Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz war deshalb, dass er davor warnte, dass die Meinungsfreiheit in Europa auf dem Rückzug sei. Damit bediente er nicht nur rechte Narrative, sondern verknüpfte geschickt auch Online- und Offline-Welt miteinander, um einen maximal destabilisierenden Effekt zu erzielen.
Es ist Zeit, dieser Selbstermächtigung der internationalen Rechten über die sozialen Medien etwas entgegenzusetzen. Die radikale politische Subversion unserer Tage lautet daher: Entschleunigung – und zwar nicht zur Destabilisierung unserer Demokratie, sondern zu ihrer Ertüchtigung.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat bereits 2018 in seinem, im Anschluss an Thomas Manns „Zauberberg“ betitelten Buch „Die große Gereiztheit“ festgestellt, dass unsere vernetzten Gesellschaften nicht daran leiden, dass sich Filterblasen bilden würden, in denen Gleichgesinnte nur noch mit Gleichgesinnten sprächen, sondern es vielmehr zu unmittelbaren und beständigen Konfrontationen mit anderen Meinungen komme. Pörksen nennt diese Art der Zusammenstöße „Filter Clashs“.
Ein Ansatz, diese Filter Clashs zu reduzieren und damit ganz nebenbei auch Steve Bannons „flood-the-zone-with-shit“-Strategie auszuhebeln, wäre es, die Unmittelbarkeit und Beständigkeit der Konfrontationen zu reduzieren. Erreicht werden könnte dies durch die Einführung einer Art digitaler „Abklingzeit“, die eine unmittelbare Reaktion auf einen Instagram-Post, einen Tweet oder ein TikTok-Video unmöglich machen würde. Wie lang der Zeitraum sein müsste, um einen messbaren Effekt bei der Interaktionsrate mit einem Post zu erzielen, wäre zu erproben. Ziel jedenfalls sollte es sein, das unmittelbare Reiz-Reaktions-Schema, dass unseren digitalen Alltag prägt, zu durchbrechen. Eine „Abklingphase“ würde wie eine Art „Nudge“ funktionieren, ein kleiner Widerhaken im Gehirn, der einen Reflexionsmoment ermöglicht, der aus drei Phasen besteht: Bestandsaufnahme, Prüfung des Wahrheitsgehalts, Verbreitungsgrund. Die Fragen, die jeder Nutzer sich also zu stellen hat, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die er heute schon vor der Verbreitung eines Posts bedenken sollte; der Unterschied läge vor allem in der Zeit, die ein Nutzer für eine solche Erwägung hätte: 1.) Was sehe ich in dem Video, Bild oder Tweet?, 2.) Habe ich überprüft, ob der Post Fakten oder Lügen verbreitet? und 3.) Warum möchte ich dieses Video, dieses Bild, diesen Post teilen?
Der Haupteinwand, den Gegner einer solchen Idee ins Feld führen könnten, wäre, wie die oben erwähnte Rede von Vance gezeigt hat, die Beschneidung der Meinungsfreiheit. Weiterhin die Reduktion von Partizipationsmöglichkeiten im Netz. Beide Argumente laufen bei einer digitalen Abklingzeit jedoch ins Leere: Denn das Grundprinzip von Social Media – jeder kann posten und alle können darauf reagieren – bleibt ja erhalten. Es verlangsamt sich nur ein wenig. Auch die Möglichkeit, sich digital zu organisieren und zu vernetzen, wird nicht beschnitten.
Die Hoffnung bei einem solchen Experiment wäre es, eine neue Form digitaler Zivilität zu schaffen. Es mag schwerfallen, sich in einer rasenden Zeit wie der unseren, andere soziale Medien vorzustellen. Doch wenn wir nicht in dem Mist ertrinken wollen, den die internationale Rechte über uns ausgießt, müssen wir den Mut haben, der propagierten Disruption Entschleunigung entgegenzustellen – eine Lebensform, die auch eher dem Wesen der Demokratie entspricht.